Einleitung
Ein leitlinienbasierter Überblick über Diagnostik und ambulante Therapie von STI bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM).
Dieser Fachbericht bietet eine umfassende, praxisorientierte Übersicht über Epidemiologie, Diagnostik und insbesondere die leitliniengerechte ambulante Therapie der häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bei MSM in Deutschland. Die Empfehlungen basieren auf den aktuellen Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sowie den maßgeblichen S2k- und S3-Leitlinien der AWMF, DSTIG und DAIG.
Epidemiologischer Kontext
Daten des RKI belegen, dass MSM die Hauptbetroffenengruppe für bakterielle STI sind. Syphilis und Gonorrhoe zeigen konstant hohe Inzidenzen, besonders in urbanen Zentren. Ein hoher Anteil asymptomatischer und extragenitaler Infektionen (pharyngeal, rektal) stellt ein unentdecktes Erregerreservoir dar und treibt die Verbreitung an.
Einfluss der HIV-PrEP
Die Einführung der PrEP hat die sexuelle Gesundheit nachhaltig beeinflusst. PrEP-Anwender zeigen eine signifikant höhere STI-Prävalenz. Dies ist nicht auf die Medikation, sondern auf Verhaltensänderungen ("Risk Compensation") zurückzuführen. Ein regelmäßiges, umfassendes STI-Screening ist daher ein integraler Bestandteil der PrEP-Versorgung.
Syphilis (Lues)
Therapie nach Stadium: Frühsyphilis (≤ 1 Jahr) vs. Spätsyphilis (> 1 Jahr).
Therapie der Frühsyphilis
Primär-, Sekundär- und Latenzstadium ≤ 1 Jahr.
- 1. Wahl (parenteral): Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. IE i.m. als einmalige Injektion.
- 1. Wahl (oral, bei Allergie): Doxycyclin 100 mg p.o. 2x täglich für 14 Tage.
- Alternative: Ceftriaxon 1 g i.v./i.m. 1x täglich für 10 Tage.
Therapie der Spätsyphilis
Latenzstadium > 1 Jahr oder unbekannter Dauer.
- 1. Wahl (parenteral): Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. IE i.m. 3x im Abstand von je 1 Woche (Tag 1, 8, 15).
- 1. Wahl (oral, bei Allergie): Doxycyclin 100 mg p.o. 2x täglich für 28 Tage.
Partnertherapie & Nachsorge
- Asymptomatischen Partnern (Kontakt < 90 Tage) eine prophylaktische Behandlung mit Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. IE i.m. anbieten.
- Serologische Kontrollen (VDRL/RPR) nach 3, 6 und 12 Monaten. Ein vierfacher Titerabfall binnen 12 Monaten gilt als Therapieerfolg.
Gonorrhoe (Tripper)
Zunehmende Resistenzen erfordern eine strikte Einhaltung der neuen S3-Leitlinie.
Wichtige Leitlinien-Änderung!
Eine rein orale Erstlinientherapie ist bei Gonorrhoe **nicht mehr leitliniengerecht**. Die routinemäßige duale Therapie mit Azithromycin wird nicht mehr empfohlen, um Resistenzen zu vermeiden.
Therapie der urogenitalen & anorektalen Gonorrhoe
- 1. Wahl (parenteral): Ceftriaxon 1.000 mg - 2.000 mg als einmalige Gabe i.m. oder i.v..
- Alternative (oral): Cefixim 800 mg p.o. (Einmaldosis) nur, wenn parenterale Gabe unmöglich und pharyngeale Infektion sicher ausgeschlossen wurde (geringe Wirksamkeit im Rachen!).
Therapie der pharyngealen Gonorrhoe
Stellt eine therapeutische Herausforderung dar und gilt als Reservoir für Resistenzen.
- 1. Wahl (parenteral): Ceftriaxon 1.000 mg - 2.000 mg i.m. oder i.v. als Einmaldosis.
- Es gibt keine empfohlene orale Erstlinientherapie für die pharyngeale Gonorrhoe.
Partnertherapie & Nachsorge
- Alle Sexualpartner der letzten 60 Tage informieren, untersuchen und empirisch behandeln.
- Ein "Test-of-Cure" (NAAT) wird 3 Wochen nach Therapieende empfohlen, insbesondere bei Rachenbefall.
Infektionen mit Chlamydia trachomatis
Doxycyclin ist nun Mittel der 1. Wahl aufgrund besserer Wirksamkeit bei rektalen Infektionen.
Unkomplizierte Infektion (D-K)
Urogenital, anorektal, pharyngeal
- 1. Wahl: Doxycyclin 100 mg p.o. 2x täglich für 7 Tage.
- Alternative: Azithromycin 1,5 g p.o. als Einmaldosis (geringere Wirksamkeit rektal!).
Lymphogranuloma venereum (LGV)
Serovare L1-L3
- 1. Wahl: Doxycyclin 100 mg p.o. 2x täglich für 21 Tage.
- Alternative: Azithromycin 1,5 g p.o. 1x wöchentlich für 3 Wochen.
Infektionen mit Mycoplasma genitalium
Resistenzgestützte Therapie ist der dringende empfohlene Standard.
Resistenztest-gestützte Therapie
Vor Therapiebeginn sollte molekularbiologisch auf Makrolid-Resistenzmutationen getestet werden.
Bei Makrolid-sensitiven Stämmen
1. Wahl: Azithromycin nach erweitertem Schema, z.B. 1.000 mg an Tag 1, dann 500 mg an Tag 2-4. Eine Vorbehandlung mit Doxycyclin (7 Tage) kann das Resistenzrisiko senken.
Bei Makrolid-resistenten Stämmen
2. Wahl: Moxifloxacin 400 mg p.o. 1x täglich für 7 Tage. Aufklärung über mögliche schwere Nebenwirkungen von Fluorchinolonen ist zwingend erforderlich!
Therapie bei Versagen
Bei Fluorchinolon-Resistenz sind die Optionen stark limitiert.
- Pristinamycin: 1 g p.o. 4x täglich für 10 Tage (Import-Arzneimittel).
- Minocyclin/Doxycyclin: 100 mg p.o. 2x täglich für 14 Tage als möglicher Versuch.
Prophylaxe & Impfungen
Präventive Maßnahmen sind ein Kernstück der sexualmedizinischen Versorgung von MSM.
Impfungen
Hepatitis A & B: Dringend für alle MSM empfohlen (Kombinationsimpfung).
HPV: Empfohlen für Männer bis 26 Jahre zur Prävention von Warzen und Karzinomen.
HIV-PEP & PrEP
PEP: Notfallmaßnahme nach Risiko, Beginn < 72h, antiretrovirale Dreifachkombi für 28 Tage.
PrEP: Tägliche oder anlassbezogene Einnahme von TDF/FTC. Obligatorisch: Regelmäßige STI-Screenings alle 3 Monate!
Doxy-PEP
Off-Label-Use: 200mg Doxycyclin einmalig < 72h nach Risikokontakt.
Hohe Effektivität gegen Syphilis & Chlamydien. Sorge: Resistenzentwicklung. Einsatz nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung.
Zusammenfassung & Klinische Implikationen
Die wichtigsten Merksätze für die tägliche Praxis.
Proaktives, multilokales Screening
Aufgrund hoher asymptomatischer Raten ist das Screening von Urin/Urethra, Rektum und Pharynx unerlässlich, um Infektionsketten zu durchbrechen.
Strikte Leitlinientreue
Die Therapie der Gonorrhoe erfordert zwingend hochdosiertes, parenterales Ceftriaxon. Doxycyclin ist die neue Erstlinientherapie bei Chlamydien.
Resistenztestung bei M. genitalium
Vor einer Azithromycin-Therapie sollte, wann immer möglich, eine molekulare Resistenztestung erfolgen, um Therapieversagen zu vermeiden.
Ganzheitliche Beratung
Jede STI-Diagnose ist ein Anlass zur Beratung über Impfungen, HIV-PrEP und ggf. Doxy-PEP.
Konsequente Partnertherapie
Die Mitbehandlung von Sexualpartnern ist fundamental zur Unterbrechung von Infektionsketten und muss aktiv gefördert werden.